Mercedes-Turm ignoriert Bürgerentscheid

Dass der Streit um weitere Bauprojekte an der Spree wieder entfachen würde, war nur eine Frage der Zeit. Bereits 2004 hatten die Bezirksverordneten aus Friedrichshain-Kreuzberg einem Bebauungsplan zugestimmt, der die Grundlage für den von Mercedes und der Immobilienfirma Vivico geplanten Bau eines 55 Meter hohen Bürokomplexes in der Nähe des Ostbahnhofs bilden soll. Dieses Vorhaben widerspricht jedoch dem 2008 durchgeführten und formal erfolgreichen Bürgentscheid, bei dem über 90 Prozent der Abstimmenden Bauprojekten eine Absage erteilten, die eine maximale Gebäudehöhe von 22 Metern überschreiten.

Leider hatte dieser Bürgerentscheid keine rechtsverbindliche Wirkung. Ein Sonderausschuss wurde daraufhin gebildet. Man wollte sich jedes Projekt einzeln vornehmen und Kompromisse aushandeln. Die Initiative „Mediaspree versenken“ stieg jedoch nach einiger Zeit wieder aus, da man sich bei einzelnen Projekten nicht einigen konnte.

Das Problem dabei ist rechtlicher Natur. Es ist zum einen der schwachen Rechtswirkung von Bürgerentscheiden und zum anderen der besonderen Verwaltungsstruktur Berlins als Einheitsgemeinde geschuldet.

  1. Als man sich 2005 auf die Regelungen für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide einigte, fand eine sehr unklare Formulierung Eingang in das Bezirksverwaltungsgesetz, nämlich dass Bürgerbegehren zu Bebauungsplänen rechtsverbindliche Wirkung haben, sofern sie nicht gegen Bundesrecht verstoßen. Mit dem Verweis auf das Bundesrecht meinte man das Baugesetzbuch und das darin verankerte Abwägungsgebot öffentlicher und privater Interessen bei der Bauleitplanung. Skeptiker behaupten, dass Bürgerentscheide per se gegen ein solches Gebot verstoßen würden und somit nur unverbindlichen Charakter haben könnten. Wir meinen, dass das Baugesetzbuch keine Aussage über Bürgerbegehren trifft, somit die Bürgerinnen und Bürger auch über Bebauungspläne verbindlich entscheiden könnten, sofern eine klare Formulierung in das Bezirksverwaltungsgesetz aufgenommen wird.
  2. Die besondere Verwaltungsstruktur, nämlich Berlin als Bundesland, welches auch kommunale Aufgaben wahrnimmt, erlaubt es dem Senat, bei bezirklichen Projekten, die von gesamtstädtischer Bedeutung sind, die Entscheidung an sich zu ziehen. Ob Mediaspree nun ein solch wichtiges Vorhaben ist, wäre dann zu klären, jedenfalls schwebt diese Drohung seitens der Stadtentwicklungsbehörde über nahezu jedem Bauprojekt an der Spree.

Sicherlich riecht es nach Wahlkampf, wenn die Grünen nun versuchen, mit diesem Thema zu punkten. Allerdings muss man fairerweise sagen, dass es keine Eigenheit dieser Partei ist, Konflikte aufzugreifen und für den Wahlkampf zu nutzen. Natürlich muss man auch über mögliche Schadensersatzforderungen sprechen, falls der Bebauungsplan nochmals geändert werden sollte. Dies alles wäre dem Bezirk vermutlich aber erspart geblieben, hätten die Bürgerinnen und Bürger zu einem möglichst frühen Zeitpunkt verbindlich entscheiden können.

Unabhängig von den eher schwierigen rechtlichen Bedingungen, die sicherlich einer gerichtlichen Klärung bedürfen, steht es Mercedes und Vivico frei, Kompromisse mit dem Bezirk auszuhandeln, die im Sinne der Bürgerinnen und Bürger ausfallen. Wir halten es jedenfalls für schwierig, das Ergebnis eines erfolgreichen Bürgerentscheids, ob nun verbindlich oder unverbindlich, gänzlich zu ignorieren.