Unsere Vorschläge zur Verbesserung der direkten Demokratie in Berlin


Mit Blick auf das am 18. September 2016 neu gewählte Berliner Abgeordnetenhaus haben wir einen Katalog an Vorschlägen erstellt, wie die direkte Demokratie in Berlin verbessert werden kann.

Bürgerbegehren und Bürgerentscheide

1. Verbindlichkeit von Bürgerentscheiden

Grundsätzlich gilt ein Katalog von 11 Punkten, zu denen die BVV und mit Abstrichen die Bürger*innen verbindliche Entscheidungen treffen können (§ 12 (2) BezVwG). Die meisten Beschlüsse der Bezirksverordnetenversammlungen (und auch Bürgerentscheide), die in die bezirkliche Zuständigkeit fallen, bewegen sich jedoch nicht in diesem Rahmen, sondern werden als Ersuchen an das Bezirksamt formuliert. Entspricht das Bezirksamt einem Ersuchen der BVV nicht vollständig, so kann diese von ihrem Aufhebungs- und Selbstentscheidungsrecht Gebrauch machen und das Bezirksamt verbindlich auffordern, einen Beschluss umzusetzen. Für Bürgerbegehren bedeutet dies, dass ein zweiter Bürgerentscheid auf den Weg gebracht werden müsste, sollte das Bezirksamt dem Ersuchen der Bürger*innen nicht nachkommen. In der Praxis wird dem Ersuchen der Bezirksverordneten oftmals ohnehin schon im ersten Durchgang entsprochen, da das Bezirksamt weiß, dass die Bezirksverordnetenversammlung von ihrem Selbstentscheidungsrecht Gebrauch machen kann.

Vorschlag: In Angelegenheiten, für die der Bezirk zuständig ist (Bezirksaufgaben nach § 3 Abs. 2 des Allgemeinen Zuständigkeitsgesetzes) und der Bezirksverordnetenversammlung das Entscheidungsrecht nach § 12 Abs. 3 zusteht, haben Bürgerentscheide verbindliche Wirkung.

2. Keine Übertragung von Entscheidungen im Rahmen des AGBauGB während laufender Bürgerbegehren

In zwei Fällen entzog der Senat Bezirken die Entscheidung über die Aufstellung von Bebauungsplänen während laufender Bürgerbegehren, mit der Folge, dass diese ins Leere liefen. Im Falle des Bürgerbegehrens gegen die Bebauung der Buckower Felder in Neukölln war bereits ein beträchtlicher Anteil der erforderlichen Unterschriften gesammelt worden. Den Initiatoren, die bereits viel Engagement investiert hatten, wurde damit der Boden entzogen.

Vorschlag: Wird die Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens festgestellt, setzt eine Sperrfrist ein. Bis zum Abschluss des Verfahrens darf der Senat die Zuständigkeit für die Entscheidung über Bebauungspläne (§§7 und 9 AGBauGB) nicht an sich ziehen.

3. Verlängerung der Beratungsfrist

Nach zustandegekommenem Bürgerbegehren läuft eine zweimonatige Beratungsfrist, in der das Bürgerbegehren übernommen werden kann bzw. BVV und Initiatoren einen Kompromiss aushandeln können. Diese Phase ist in manchen Fällen zu kurz, vor allem, wenn sie in die Ferienzeit fällt. Beim aktuellen Bürgerbegehren "Fraenkelufer Retten" in Friedrichshain-Kreuzberg ist eine Beratung (und ein möglicher Kompromiss) mit der neu gewählten BVV gar nicht mehr möglich, weil die Frist vor Konstituierung der BVV abläuft.

Vorschlag: Um mehr Flexibilität ins Verfahren zu bringen, kann auf Antrag der Trägerin des Bürgerbegehrens die Beratungsfrist um zwei Monate verlängert werden.

4. Abschaffung des Zustimmungsquorums

Abstimmungsquoren wirken demobilisierend, erzeugen somit eine geringere Beteiligung und führen zu einer Verzerrung des Abstimmungsergebnisses. Oftmals sind die zu entscheidenden Gegenstände auch nicht von Interesse für den gesamten  Bezirk. Über ein Drittel der Berliner Bürgerentscheide scheiterte, obwohl sich eine klare Mehrheit der Abstimmenden für das Begehren aussprach. Die strittige Frage wird somit im Bürgerentscheid nicht geklärt und es bleibt Frustration in der Bevölkerung zurück.

Vorschlag: Wie bei Wahlen entscheidet die Mehrheit der Teilnehmenden. Das Zustimmungsquorum wird abgeschafft. 


Volksbegehren und Volksentscheide

A. Landesverfassung

1. Themen

Zwar dürfen sich Volksbegehren auf den Landeshaushalt auswirken, jedoch sind Volksbegehren über Abgaben und Tarife öffentlicher Unternehmen unzulässig. Somit können die Bürger*innen nur über öffentliche Ausgaben, jedoch nicht über Einnahmen entscheiden. Ein Volksbegehren zur Regelung von Sozialtarifen im ÖPNV oder bei Stadtwerken wäre damit nicht möglich.

Vorschlag: Volksbegehren über Abgaben und Tarife sind zulässig. Weiterhin ausgeschlossen bleibt die Haushaltsaufstellung.

2. Änderbarkeit von Volksbehrensanträgen

Der direkten Demokratie wird oft vorgeworfen, sie sei unflexibel. Der zugrundeliegende Gesetzentwurf sei nach der ersten gesammelten Unterschrift nicht mehr änderbar. Auf die öffentliche Debatte könne dementsprechend nicht mehr reagiert werden. Änderungsvorschläge des "Mieten-Volksentscheids" und des "Volksentscheids Fahrrad" wurden dementsprechend als zu weitreichend  abgelehnt.

Vorschlag: Nach Einreichung des Volksbegehrensantrags sind inhaltliche Änderungen möglich, sofern der Grundcharakter des Volksbegehrens nicht verändert wird.

3. Senkung der Unterschriftenquoren

Das Unterschriftenquorum für verfassungsändernde Volksbegehren liegt zurzeit bei 20 Prozent. Das entspricht 500.000 gültigen Unterschriften - eine Hürde, die kaum zu überwinden ist. Auch das Unterschriftenquorum für einfache Gesetz ist noch zu hoch. Die Unterschriftensammlung hat den Zweck, die Relevanz eines Themas anzuzeigen, zu dem ein Volksentscheid stattfinden soll.

Vorschlag: Das Unterschriftenquorum für einfachgesetzliche und verfassungsändernde Volksbegehren wird auf 5 Prozent gesenkt. 125.000 gültige Unterschriften reichen aus, um zu gewährleisten, dass nur einzelne wichtige Themen zum Volksentscheid kommen.

4. Abschaffung der Zustimmungsquoren

Auch bei Volksentscheiden wirken Abstimmungsquoren demobilisierend, vor allem wenn sie so hoch angesetzt sind wie bei verfassungsändernden Volksentscheiden in Berlin. Es müssen zwei Drittel der Teilnehmenden und gleichzeitig 50 Prozent aller Wahlberechtigten zustimmen, damit ein Volksentscheid gültig ist. Ohne eine Zusammenlegung von Abstimmungen mit Wahlen bleibt es auch für einfachgesetzliche Volksentscheide schwer, die Hürde von 25 Prozent Zustimmung zu erreichen.

Vorschlag: Abstimmungsquoren sind undemokratisch und sollten gestrichen werden. Bei Verfassungsänderungen ist eine 2/3-Mehrheit notwendig.  

5. Privatisierungsreferendum

Öffentliche Unternehmen der Daseinsvorsorge werden aus Steuergeldern finanziert und dienen dem Gemeinwohl. Sie gehören der öffentlichen Hand und damit letztlich allen Bürger*innen Berlins. Daher sollten die Eigentümer gefragt werden, wenn ihr Eigentum verkauft werden soll. Durch eine (Teil-)Privatisierung wird die Verfügung über das Unternehmen und damit auch die demokratische Steuerungsfähigkeit in einem bestimmten Bereich erheblich eingeschränkt und dies faktisch irreversibel, zumindest für einen langen Zeitraum.

Vorschlag: Privatisierungen in der öffentlichen Daseinsvorsorge werden zwingend den Bürger*innen zur Entscheidung vorgelegt.

6. Fakultatives Referendum

Wahlen sind Richtungsentscheidungen und bilden doch nur sehr ungenau die Präferenzen der Bürger*innen bei einzelnen Projekten ab. Regierungskoalitionen können in einzelnen Entscheidungen nicht automatisch von einer mehrheitlichen Zustimmung der Bürgerschaft ausgehen. Mit einem fakultativen Referendum würden die Bürger*innen ein Vetorecht für umstrittene Gesetzesänderungen bekommen.

Vorschlag: Mit der Sammlung von 2,5 Prozent der Stimmberechtigten innerhalb von drei Monaten kann ein Referendum über ein vom Abgeordnetenhaus beschlossenes Gesetz herbeigeführt werden.

B. Abstimmungsgesetz

1. Frist für die Zulässigkeitsprüfung

In der Regel dauert die Prüfung der materiellen Zulässigkeit eines Antrags auf Einleitung eines Volksbegehrens 1-2 Monate. Im Falle des Volksbegehrensantrages "Gesetz über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin“ wurde der Trägerin erst nach einem halben Jahr das Ergebnis der Prüfung mitgeteilt. Für die Initiatoren eines Volksbegehrens ist die Planbarkeit der zeitlichen Abläufe aber sehr wichtig, unter anderem auch deswegen, um den Volksentscheid mit einer bestimmten Wahl zusammenlegen zu können. Während ansonsten nahezu alle Verfahrensschritte gesetzlich terminiert sind, herrscht bei der Zulässigkeitsprüfung eine Regelungslücke.

Vorschlag: Die Zulässigkeitsprüfung durch den Senat inklusive Prüfung der Unterschriften durch die Bezirksämter wird auf maximal drei Monate befristet. Wird der Gesetzentwurf dem Verfassungsgericht vorgelegt, sollte es innerhalb von sechs Monaten zu einer Entscheidung kommen.

2. Anhörungsrecht im zuständigen Ausschuss

Nach der ersten Stufe eines Volksbegehrens ist im Unterschied zu den meisten Bundesländern keine zwingende parlamentarische Befassung sowie Anhörung der Trägerin des Volksbegehren im zuständigen Fachausschuss vorgesehen. In der Regel lässt das Abgeordnetenhaus die Frist von vier Monaten ohne Befassung mit dem Volksbegehren verstreichen. Direktdemokratisches Engagement der Bürgerschaft wird in diesem Verfahrensstadium eines Volksbegehrens kaum gewürdigt.

Vorschlag: Nachdem der Nachweis der Unterstützung des Volksbegehrens erbracht und die Zulässigkeit festgestellt ist, muss das Abgeordnetenhaus über die Initiative beraten. Es findet eine Anhörung im Fachausschuss statt. 

3. Zwingende Zusammenlegung von Wahlen und Abstimmungen

Unter den Bedingungen eines Abstimmungsquorums ist die Zusammenlegung eines Volksentscheides mit einer Wahl ein wichtiges Erfolgskriterium. In der Vergangenheit hat der Senat Volksentscheide bewusst nicht auf einen Wahltermin gelegt, um deren Erfolgschancen zu mindern. Über den Termin sollte nicht länger der Senat verfügen, ist er doch parteiisch.

Vorschlag: Der Volksentscheid wird innerhalb der vorgegebenen Frist von 8 Monaten zwingend mit dem nächstgelegenen Wahltermin zusammengelegt. Zu prüfen ist, ob eine Änderung des Abstimmungsgesetzes mit Art. 62 Absatz 4 der Landesverfassung vereinbar wäre. Andernfalls könnte eine Soll-Bestimmung bzgl. der Zusammenlegung ins Gesetz aufgenommen werden.

4. Keine einseitige öffentliche Finanzierung von Senatskampagnen gegen Volksentscheide

Mit der Änderung des Abstimmungsgesetzes in der vergangenen Wahlperiode wurde ein Ungleichgewicht zwischen Senat und Abgeordnetenhaus auf der einen und der Volksbegehrensinitiative auf der anderen Seite geschaffen. Während Erstgenannte auf öffentliche Gelder zurückgreifen können, um gegen laufende Volksbegehren und im Vorfeld von Volksentscheiden zu mobilisieren, hat die Trägerin eines Volksbegehrens keinerlei Anspruch auf öffentliche Mittel, um einen Teil ihrer Maßnahmen zu finanzieren.

Vorschlag I: Der Einsatz öffentlicher Gelder durch Senat und Abgeordnetenhaus wird wieder gestrichen.

Vorschlag II: Um ein finanzielles Gleichgewicht herzustellen, erhält auch die Trägerin eines Volksbegehrens Anspruch auf öffentliche Mittel. Beim Volksbegehren könnte der Betrag bei 0,30 Euro pro gültiger Eintragung liegen, wobei maximal 7 Prozent der Wahlberechtigten berücksichtigt werden. Bei Volksentscheiden könnte die Kostenerstattung bei 0,15 Euro pro Ja-Stimme liegen. (Auch hier würde eine Deckelung bis zur Erreichung des Zustimmungsquorums gelten.)

5. Aufeinanderfolgende Positionen in der amtlichen Mitteilung (Abstimmungsbroschüre)

Im Zuge der Änderung des Abstimmungsgesetzes in der letzten Wahlperiode wurde auch die Abstimmungsordnung dahingehend geändert, dass sich die Positionen der Trägerin einerseits und des Abgeordnetenhauses sowie des Senats andererseits in der Abstimmungsbroschüre jeweils gegenüberstehen. Diese Gegenüberstellung auf der linken und  rechten Seite ist unübersichtlich und macht wenig Sinn, da die Texte nicht den gleichen Aufbau haben.

Vorschlag: Die Texte werden nacheinander abgedruckt - zuerst die Trägerin, dann Senat und Abgeordnetenhaus.