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Brandenburg: Volksinitiativen müssen praktikabel bleiben

In Brandenburg wurde nach der Unzulässigkeit der Krankenhaus-Volksinitiative nun auch die Volksinitiative für ein kostenlosen Schulessen für unzulässig erklärt. Der Hauptausschuss stützt seine Entscheidung dabei auf ein Gutachten des Parlamentarischen Beratungsdienstes. Eine Einschätzung.

Wer in Brandenburg eine Volksinitiative rechtssicher formulieren will, wird dies zukünftig kaum ohne juristische Begleitung tun können. Das Gutachten des Parlamentarischen Beratungsdienstes (PBD) zur Volksinitiative „Schule satt“ stellt hohe Anforderungen an die Formulierung von Unterschriftenlisten für Volksinitiativen. Fraglich ist, ob die ein oder andere parlamentarische Beschlussvorlage Bestand hätte, würde sie nach diesen Maßstäben geprüft werden. Dabei ist doch die Volksinitiative ein Instrument für Bürgerinnen und Bürger, nicht für Juristinnen und Juristen.

Um eines klarzustellen: Der Gegenstand einer Volksinitiative und somit eines potentiellen Volksentscheides muss rechtlich wasserdicht sein, dies gilt vor allem für Gesetzentwürfe, die Grundlage einer Volksinitiative sein können. Ob aber ähnlich hohe Maßstäbe an die Begründung eines unverbindlichen Beschlusstextes gelegt werden müssen, darf bezweifelt werden. Gerade die Möglichkeit, dass eine Volksinitiative nicht nur zu Gesetzentwürfen, sondern auch zu allgemeinpolitischen Forderungen erfolgen können – in den wenigsten Bundesländern ist dies möglich, öffnet das Instrument auch für politisch interessierte Nicht-Profis, also alle Bürgerinnen und Bürger.

Was wird vom Parlamentarischen Beratungsdienst beanstandet?

1. Fehlende Überschrift: Das Volksabstimmungsgesetz sieht in § 8 Absatz 1 Nr. 1 vor, dass die Unterschriftenliste, auf der man eine Volksinitiative unterstützen kann, eine Überschrift enthalten muss, aus der der Zweck der Volksinitiative hervorgeht. Der PBD argumentiert, dass die Liste anstelle einer Überschrift lediglich eine grafisch hervorgehobene Sprechblase mit dem Titel „Schule satt – Essen für alle Kinder – Volksinitiative“ enthält“. Mit etwas gutem Willen hätte man diese Sprechblase als Überschrift werten können. Es wird weiter kritisiert, dass daraus nicht der Zweck der kostenlosen Versorgung hervorginge. Formalistisch betrachtet ist dies korrekt, jedoch täuscht die Sprechblase eben keine falschen Tatsachen vor. Im Zusammenhang mit weiteren Ausführungen auf der Unterschriftenliste und vor allem dem grau unterlegten Abstimmungstext sollte allen Menschen klar sein, dass sie für ein kostenloses Mittagessen unterschreiben.

Die Maßstäbe, die hier an die Überschrift gelegt werden, würden auch anderen und vor allem zukünftigen Volksinitiativen Probleme bereiten. Bei der Volksinitiative zur Verkehrswende lautete die Überschrift „Verkehrswende Brandenburg jetzt! – Brandenburg verbinden – verlässlich, bezahlbar und klimaverträglich“. Nur im Zusammenhang mit weiteren Erläuterungen auf der Liste ergibt sich der Zweck der Volksinitiative, nämlich der flächendeckende Ausbau des barrierefreien Öffentlichen Nah- und Radverkehrs sowie der Fußwege. Zudem wollte die Volksinitiative auch den Güterverkehr stärker auf die Schiene verlagern. Dasselbe gilt für die Volksinitiative „Keine Geschenke den Hohenzollern“, die sich gegen die Herausgabe von Kunstgegenständen und Entschädigungen an die Erben der Hohenzollern richtete. Ohne den Kontext zu kennen, ergibt sich der Zweck der Volksinitiative nicht allein aus der Überschrift. Man denke dabei auch an nichtssagende Titel von parlamentarischen Gesetzentwürfen wie das Siebte Gesetz zur Änderung des Kitagesetzes oder das Vierte Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes.

2. Falsche Tatsachenbehauptung: Begründungen auf Unterschriftenlisten von Volksinitiativen dürfen keine falschen Tatsachenbehauptungen enthalten. Die Begründung der Volksinitiative meint, dass die Kosten „nicht selten schon jetzt zwischen fünf und sechs Euro pro Mittagessen“ lägen. Der PBD argumentiert, dass eine Studie der Grünen Fraktion für den Zeitraum Juli bis September 2023 zu einem anderen Ergebnis käme, räumt aber auch ein, dass die Preise sich bis zum Start der Volksinitiative (Januar 2024) theoretisch noch verändert haben könnten. Zur Diskussion steht auch, was genau „nicht selten“ bedeutet. In der Studie der Grünen Fraktion liegt die Preisspanne zwischen 1 und 11,20 Euro. Die von der Volkinitiative angegebenen Kosten von 5 oder 6 Euro machen dort einen geringen Anteil aus. Das Verfassungsgericht wird dies überprüfen müssen, sollte die Initiative eine gerichtliche Überprüfung anstreben.

3. Irreführende Darstellung: Der PBD argumentiert, dass durch die Nicht-Erwähnung von bestimmten Tatsachen ein unvollständiges Bild des Sachverhalts entstünde. So seien Familien durch die Inflation zwar überproportional betroffen gewesen, dies sei aber durch staatliche Ausgleichsmaßnahmen vollständig kompensiert worden. Letzteres blieb in der Begründung der Volksinitiative unerwähnt. Würde sich der Hauptausschuss zukünftig diese Art der Argumentation zu Eigen machen, dann droht die rechtliche Zulässigkeitsprüfung weitaus politischer zu werden. Die Frage, welche Informationen relevant und deshalb erwähnenswert sind und welche ausgespart werden können, ist eine politische Bewertung und somit Teil der öffentlichen Debatte. Zudem dürfte es kaum einwandfrei belegbar sein, dass die gestiegenen Kosten tatsächlich vollständig durch Ausgleichsmaßnahmen kompensiert wurden. Der PBD stützt seine Einschätzung auf die Ergebnisse eines Forschungsinstituts. Ein anderes Institut könnte jedoch zu einer anderen Bewertung kommen. In juristischen Kommentaren zur Kommunalverfassung ist in Bezug auf kommunale Bürgerbegehren explizit nachzulesen, dass die Maßstäbe an die Begründung nicht zu hoch anzulegen sind. In der Regel beschränkt man sich bei der Zulässigkeitsfrage dort auf die Richtigkeit von Tatsachenbehauptungen. Der Hauptausschuss ist gut beraten, sich ebenfalls darauf zu konzentrieren. Es ist die Aufgabe der Landesregierung oder des Landtages in der politischen Debatte, andere Perspektiven aufzuzeigen. Die Erwartung, die Begründung einer Unterschriftenliste müsse den Sachverhalt vollständig darstellen, ist überzogen und praxisfern.

Was nun?

Zu hoffen ist, und das wurde von der Volksinitiative bereits angekündigt, dass die Initiatoren die Unzulässigkeitsentscheidung gerichtlich überprüfen lassen. Mindestens im letzten Punkt schießt der PBD und somit auch der Hauptausschuss deutlich über das Ziel hinaus.

Unabhängig davon, zu welchem Ergebnis das Gericht kommt, schlägt Mehr Demokratie e.V. vor:

  • Die rechtsverbindliche Prüfung sollte an den Anfang einer Volksinitiativegestellt werden und nicht wie jetzt, nach der Einreichung der Unterschriften. Das Recht auf Vorab-Beratung bei der Abstimmungsleitung beschränkt sich eben nur auf formale Aspekte. Die Abstimmungsleitung wird nicht die Zeit aufbringen (können), um zu prüfen, ob die Begründung einer Volksinitiative wahrheitsgetreu und umfassend ist.
  • Volksinitiativen sollten die Möglichkeit erhalten, zulässigkeitsrelevante Teile innerhalb einer Frist zu ändern, sofern das Grundanliegen unverändert bleibt. Dies ist gängige Praxis in Berlin und hat sich bewährt.

 

Kontakt:

Mehr Demokratie e.V.

Landesverband Berlin/Brandenburg

Oliver Wiedmann

oliver.wiedmannkein spam@mehr-demokratie.de

Tel: 030 420 823 70

Mobil: 0163 191 4207

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