Reform des Kommunalwahlrechts dringend geboten
Mehr Demokratie fordert eine Änderung der Regeln für die Abwahl von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern in Brandenburg. Anlass ist die anstehende Abwahl des Oberbürgermeisters Mike Schubert in Potsdam. Hierbei kann es zu einer paradoxen Wahlsituation kommen: Aufgrund der geltenden Rechtslage könnte der jetzige Oberbürgermeister auch dann weiter im Amt bleiben, wenn deutlich mehr Wählerinnen und Wähler für seine Abwahl stimmen als ihn im Jahr 2018 gewählt haben.
Ursache hierfür sind die unterschiedlichen Bedingungen für die Direktwahl von Bürgermeistern und deren Abwahl. Für die Direktwahl gilt ein Zustimmungsquorum, also eine Mindestzustimmung, von 15 %. Für die Abwahl ist das Quorum hingegen höher und liegt bei 25 %. Dieser Unterschied konnte seitens der Landesregierungen bisher nie sachlich begründet werden.
Generell widersprechen Abstimmungsquoren dem Mehrheitsprinzip, da die Möglichkeit besteht, dass sich eine Minderheit durchsetzt. Das geltende Brandenburger Wahlrecht für Kommunen sollte daher dringend geändert werden, um solche Widersprüchlichkeiten zu vermeiden und die Akzeptanz demokratischer Verfahren zu stärken.
Oliver Wiedmann, Vorstandssprecher für den Landesverband Berlin-Brandenburg: „Egal ob Direktwahl oder Abwahl von Oberbürgermeistern – die Regeln müssen dieselben sein. Ansonsten kommt es zu fatalen Widersprüchen bei der Besetzung solch wichtiger Ämter. Man stelle sich vor, ein Oberbürgermeister erfährt in einem Abwahlverfahren mehr Ablehnung als Zustimmung bei seiner Wahl vor sechs Jahren – und dennoch bleibt er im Amt. Das ist der Öffentlichkeit schwer zu vermitteln und nährt die Unzufriedenheit mit demokratischen Prozessen. So wird der Vertrauensverlust in öffentliche Institutionen und Ämter verstärkt. Das Brandenburger Kommunalwahlrecht sollte daher dringend geändert werden. Die Ausgestaltung des Wahlrechts muss frei von Widersprüchen sein. Ein erster Schritt wäre, das Quorum für Bürgerentscheide auf das Niveau von Direktwahlen abzusenken – also auf 15 Prozent. Darüber hinaus sollte die Notwendigkeit von Quoren bei Wahlen und Bürgerentscheiden generell überprüft werden.“
Ausführliche Begründung:
Am 25. Mai stimmen die Potsdamerinnen und Potsdamer über die Abwahl des Oberbürgermeisters Mike Schubert ab. Eingeleitet wurde der Bürgerentscheid durch einen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung. Am 2. April stimmte sie mit qualifizierter Mehrheit für einen entsprechenden Antrag (44 Ja- und 9 Nein-Stimmen).
Das Kommunalwahlgesetz sieht vor, dass für eine Abwahl per Bürgerentscheid sowohl die Zustimmung einer Mehrheit der Abstimmenden als auch eines Viertels aller Abstimmungsberechtigten (Zustimmungsquorum) erforderlich ist. Zur Kommunalwahl 2024 waren insgesamt 143.118 Potsdamerinnen und Potsdamer wahlberechtigt. Es müssten also rund 35.800 Wahlberechtigte für die Abwahl des Oberbürgermeisters stimmen, damit diese gültig ist.
Zur Erinnerung: 2018 wurde Mike Schubert in der Stichwahl mit 28.503 Stimmen gewählt. 21.167 Wählerstimmen waren nötig gewesen, um das Quorum bei der Stichwahl zu erreichen. Das Zustimmungsquorum für die Direktwahl liegt nach wie vor bei 15 %. Am Ende könnte also die Situation eintreten, dass mehr Menschen für die Abwahl von Mike Schubert stimmen als ihn 2018 gewählt haben – und die Abwahl dennoch am Quorum von 25 % scheitert.
Da sich die Debatte über die Zukunft des Oberbürgermeisters schon seit einigen Monaten im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit befindet, ist ein Erreichen des Quorums durchaus realistisch – aber auch nicht sicher. Bei der Ausgestaltung von Wahlsystemen sollten immer auch seltene Fälle einbezogen werden. In den letzten Jahren scheiterten Bürgerentscheide immer wieder am Zustimmungsquorum, vor allem dann, wenn sie nicht parallel zu einer landesweiten Wahl stattfanden (1). Wie eng das Ergebnis einer Abwahl ausfallen kann, verdeutlicht auch der Abwahl-Bürgerentscheid in Hoppegarten 2024. Zwar lehnte eine knappe Mehrheit (51,5 %) die Abwahl des Bürgermeisters ab. Wäre jedoch das Ergebnis knapp zugunsten einer Abwahl ausgefallen, wäre das Quorum weit verfehlt worden. Die Wahlbeteiligung lag gerade einmal bei 38 % (2).
Sollte der Fall eintreten, dass eine Mehrheit für die Abwahl stimmt, jedoch das Quorum nicht erreicht wird, würde Potsdam vor einem demokratiepolitischen Scherbenhaufen stehen. Die Stadt müsste ein weiteres Jahr mit einem Oberbürgermeister leben, gegen den sie mehrheitlich gestimmt hat. Für die Zukunft sollte das Wahlverfahren angepasst werden.
Kontakt:
Oliver Wiedmann
Tel.: 0163 191 4207
E-Mail: oliver.wiedmann @mehr-demokratie.de
Fußnoten:
(1) Einige Bürgerentscheide über Sachfragen bekamen in der Vergangenheit zwar eine Mehrheit der Ja-Stimmen, scheiterten jedoch am Zustimmungsquorum, so z.B. in Vetschau (5.11.2023), Mühlenbecker Land (13.11.2022), Bad Freienwalde (6.12.2025).
(2) Wahlergebnisse Hoppegarten 2024 – Bürgerentscheid
Presse-Artikel:
MAZ-ONLINE: Hohe Hürden für Schuberts Abwahl: „paradoxe Situation“ droht