"Eine Demokratie lebt vom demokratischen Konflikt und vom Ringen ums Gemeinwohl"

Mehr Demokratie spricht mit Stephan Junker vom Berliner Mietenvolksentscheid über ihr laufendes Volksbegehren, welches mit 48.541 eingtereichten Unterschriften die erste Hürde genommen hat.

 

Ihr habt im April ein Volksbegehren für bezahlbare Mieten auf den Weg gebracht. Welche Ziele verfolgt die Initiative und wie sieht euer Zeitplan aus?

Die Ziele der Initiative lassen sich grob in drei Punkten zusammenfassen:

1. Die Stärkung, Demokratisierung und Gemeinwohlorientierung der kommunalen Wohnungsbauunternehmen. Dazu sollen die jetzigen GmbHs und AGs in Anstalten öffentlichen Rechts umgewandelt werden. Dies ermöglicht die Etablierung einer starken Mitbestimmung durch Mietende, Beschäftigte und Sozial- und Mietverbände sowie die Abkehr von der Profitorientierung. Weiterhin soll das Eigenkapital aufgestockt werden, was den Unternehmen Ankauf und Neubau weiterer Wohnungen ermöglichen soll.

2. sollen die Menschen, die in Sozialwohnungen wohnen nicht weiter die Fehler der Politik in den letzten Jahrzehnten ausbaden. Daher sollen die Mieten einkommensorientiert gestaffelt werden. Auch Menschen, die damals in Sozialwohnungen gezogen sind, deren Anschlussförderung aber ausläuft, sollen weiter unterstützt werden. Aber auch im privaten Sektor, bzw. nicht gefördertem Sektor, sollen zum Beispiel altersgerechte Sanierungen nicht mehr dazu führen, dass Menschen sich die Wohnung nicht mehr leisten können.

3. Soll wieder in einen neuen sozialen Wohnungsbau investiert werden. Dieser soll aber anders als der alte soziale Wohnungsbau nicht mehr die Investoren fördern. Für die Punkte zwei und drei soll daher ein Wohnraumförderfonds eingerichtet werden. Aus diesem sollen einerseits die Unterstützungsleistungen (Punkt 2) bezahlt werden, als auch günstige Darlehen für Sozialwohnungen vergeben werden. Der Rücklauf soll wieder neu investiert werden. Auf Grund seiner strengen Auflagen, werden vor allem kommunale und nicht profitorientierte Unternehmen auf diesen Förderfonds zurückgreifen.

Langfristig soll damit ein Instrument geschaffen werden, was ermöglicht, einen immer größeren Teil der Wohnungen in öffentlichen, demokratisch kontrollierten Besitz zu bringen. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass die Berliner Bevölkerung wieder selbst über die Entwicklung der Stadt bestimmen kann und eine Abkehr der Förderung von profitorientierten Investoren. Mittelfristig soll das günstige Wohnungsangebot der kommunalen Unternehmen Mietspiegelsteigerungen verhindern. Anders als die CDU behauptet, fallen diese nämlich nicht alle aus dem Mietspiegel heraus, das gilt nur für Sozialwohnungen.

Von Januar bis April 2016 wollen wir dafür die nötigen Unterschriften sammeln, damit zur Abgeordnetenhauswahl über das Gesetz abgestimmt werden kann.

Bereits in den ersten vier Wochen wurden mehr als 28.000 Unterschriften gesammelt. Wie erklärt ihr euch die breite Unterstützung innerhalb der Zivilgesellschaft?

Hierfür gibt es sicherlich mehrere Gründe. Ich glaube besonders wichtig ist dabei das verlorene Vertrauen in die etablierten Parteien und die Dringlichkeit des Problems.

Die etablierten Parteien in Berlin haben lange Zeit vor allem auf die Förderung privater Investoren, statt auf die Bedürfnisse der Berliner Bevölkerung gesetzt. Da haben sich in der Vergangenheit CDU, SPD und PDS wenig unterschieden. Auch wenn dies die Linke wohl mittlerweile oft bereut. Hinzu kommt, dass gerade die Regierenden in SPD und CDU eher Angst vor der Berliner Bevölkerung haben und diese beschimpfen.

Die Politik hat also lange die Probleme der Verdrängung und steigenden Mieten ignoriert. Die harte Arbeit vieler Initiativen und widerspenstiger Mieter*innen haben das Thema wieder mehr in die Öffentlichkeit gebracht und Strukturen aufgebaut. Davon profitiert auch der Mietenvolksentscheid, der im Gegenzug einen Beitrag zum weiteren Ausbau von Strukturen und Öffentlichkeit für die verschiedenen Kämpfe und Probleme der Stadt leisten will.

Michael Müller hat direktdemokratischen Initiativen jüngst Eigeninteresse unterstellt. Handelt ihr denn gemeinwohlorientiert?

Die Aussagen von Müller zeigen vor allem sein problematisches Verständnis von Demokratie. Was Gemeinwohl ist, ist immer umstritten und auch nicht gleichzusetzen mit einem Interessenausgleich, bei dem alle Interessen gleich gewichtet werden. Eine Demokratie lebt vom demokratischen Konflikt und vom Ringen ums Gemeinwohl. Die herrschende Politik der letzten Jahre bis Jahrzehnte hat vor allem das Eigeninteresse großer privater Unternehmen als das Interesse aller herausgestellt, was zu einer Unterhöhlung der Demokratie geführt hat. Alles was nicht im Interesse dieser Unternehmen stand, wurde als nicht möglich dargestellt.

Eine Person, Partei oder Organisation kann niemals das Gemeinwohl repräsentieren. Gerade Parteien sind momentan besonders anfällig dafür, vor allem die Interessen derjenigen zu vertreten, die viele Ressourcen und leicht mobilisierbare Druckmittel haben. Das ist zum Beispiel Geld und die Drohung des Abzugs dessen, dass hat beispielsweise Mediaspree gezeigt.

Die Zunahme an Initiativen und Volksbegehren zeigt, dass den Berliner*innen hingegen Demokratie sehr am Herzen liegt, es ist ein Aufbegehren gegen das autoritäre Gebaren mancher Politiker*innen und Parteien, die sich aufspielen alleine das Gemeinwohl repräsentieren zu können. In Wirklichkeit repräsentieren sie nicht einmal einen Interessenausgleich. Denn der Neubau, den beispielsweise SPD und CDU vertreten und als Interessenausgleich der Mieter*innen und Investoren hinstellen, ist oft vor allem ein Geschenk an die letzteren mit ein paar kleinen Zugeständnissen an die Berliner Bevölkerung. Eine Antwort auf die Demokratiefähigkeit der Berliner Bevölkerung sollten gerade von einem Sozialdemokratischen Bürgermeister nicht Beschimpfungen und Unterstellungen sein. Vielmehr müssten Modelle entwickelt werden, in denen die Stadtbevölkerung darüber diskutieren und mitbestimmen kann, wie sie sich ihre Stadt wünschen. Das gilt gerade und insbesondere für den Neubau. Für so etwas gibt es im Kleinen Beispiele. So der Planungsprozess der Hamburger Bevölkerung zur Zukunft der Esso Häuser.

Selbstverständlich wird es auch da Konflikte geben, doch genau das ist Demokratie und nur so kann man sich überhaupt so etwas wie dem Gemeinwohl annähern. 

Der Senat hat nun Gesprächsbereitschaft signalisiert. Wie schätzt ihr diesen Vorstoß ein und wo bestehen aus eurer Sicht Schnittmengen?

Bisher hat die SPD, nicht aber der Senat Verhandlungen öffentlich gefordert und angeboten. Uns ist aber nicht klar, ob sie das wirklich will und vor allem nicht worüber. Zum einen gibt es keine konkreten Vorschläge und zum anderen wird direkte Demokratie von Müller vor allem beschimpft und Geisel überlegt sich den Schritt vors Verfassungsgericht. Bei den 10 Geboten für den sozialen Wohnungsbau sind eine Menge Punkte dabei, die wir gut finden, leider sagt aber Geisel, dass das nur ein privater Notizzettel war. Stärkung der kommunalen Wohnungsbauunternehmen, Privatisierungsbremse für öffentliche Unternehmen in der Landesverfassung, mehr sozialer Wohnungsbau, ein stärkeres in die Pflicht nehmen privater Investoren. All dies kann die SPD aber jederzeit umsetzen, wenn sie es will.

Wo wir uns aber stark unterscheiden ist die Frage der Demokratie, denn eine wirkliche demokratische Mitbestimmung in den kommunalen Wohnungsbauunternehmen, will die SPD nicht.

Bisher scheint das Angebot also leider nicht echt, sondern soll uns wohl eher den Wind aus den Segeln nehmen. Über unser Gesetz hinausgehende Maßnahmen in der eben skizzierten Richtung wären wir aber natürlich sehr froh und glauben auch, dass die Berliner Bevölkerung das begrüßen würde. Da muss aber gar nicht verhandelt werden, sondern die SPD kann solche Gesetze im Abgeordnetenhaus einfach zur Abstimmung bringen. Zustimmungsbereitschaft wurde von manchen Abgeordneten ja schon signalisiert. 

Eure Kostenschätzung und die des Senats, was die Umsetzung des Begehrens angeht, liegen sehr weit auseinander. Die Wahrheit liegt in der Mitte?

Das ist gar nicht so leicht zu beantworten, da hinter vielen Kostenpunkten politische Entscheidungen stehen. Würde der Senat die alten Verträge zum sozialen Wohnungsbau und zur GSW Privatisierung genau prüfen und Klagen einreichen, in das alte System der Kostenmiete gesetzlich eingreifen, in den Bezirken Milieuschutzgebiete einführen etc., könnten die Kosten für unser Gesetz deutlich gesenkt werden.

Doch der Senat rechnet leider auch falsch, so wollen wir Ankäufe der kommunalen Wohnungsbauunternehmen aus deren Eigenkapitalausstattung finanzieren, der Senat rechnet dafür jedoch nochmal extra Kosten ein. Wir freuen uns natürlich, wenn der Senat so dem kommunalen Wohnungsbauunternehmen mehr Geld zur Verfügung stellt und mehr Geld in den Wohnraumförderfonds fließen lässt. Das gehört aber nicht zu den strikt notwendigen Ausgaben, die die Erfüllung des Gesetzes erfordert. Nur das darf aber in der Kostenschätzung enthalten sein. Alles andere sind darüber hinausgehende politische Entscheidungen. Aber wie gesagt, wenn mehr Geld in eine soziale Stadt investiert werden soll, freut uns das, so lange es in die richtigen Bereiche fließt. 

Das Berliner Verfassungsgericht hat bestätigt, dass sich Volksbegehren mit Ausnahme des laufenden Haushaltsjahres auf die Landesfinanzen auswirken dürfen. Trotzdem haben Finanz- und Stadtentwicklungssenator ein Problem mit eurem Vorschlag. Sind die finanziellen Auswirkungen eures Begehrens zulässig und auch politisch vermittelbar?

Zulässig sind sie unserer Meinung auf jeden Fall. Das zeigt das von Ihnen erwähnte Urteil zum Kitavolksbegehren. Auch der Energievolksentscheid hätte nach Senatsangaben zwei bis drei Milliarden gekostet. Dort gab es keine Überlegungen, deshalb zum Verfassungsgericht zu gehen. Da werden wohl eher Argumente vorgeschoben, um zu verhindern, dass der Volksentscheid zeitgleich zur Abgeordnetenhauswahl läuft. Eine Verschiebung des Wahltermins kann sich die SPD nicht wieder leisten, darum wird es diesmal so versucht. 

Wir halten diese Kosten auch für politisch vermittelbar, die Berliner Bevölkerung ist klug. Sie hat mitbekommen, wie einfach auf einmal für Olympia, BER und andere Prestigeprojekte Geld da war. Warum soll das Geld jetzt auf einmal nicht mehr da sein, wo es um einkommensschwache Interessen geht, immerhin 60% der Berliner Bevölkerung, wenn man die Berechtigung zum Wohnberechtigungsschein als Indiz nimmt.

Natürlich kostet das Geld, wir haben aber einen Vorschlag zur Finanzierung gemacht, der vor allem finanzstarke Immobilienspekulanten betreffen würde, nämlich die Erhöhung der Grunderwerbssteuer. Der Senat hat also die Instrumente zur Finanzierung in der Hand, ohne in anderen Bereichen der Daseinsvorsorge sparen zu müssen. Das wissen die Berliner*innen. 

Das Unterschriftenquorum in der zweiten Stufe liegt bei 174.000 Unterschriften. Welche Maßnahmen sind geplant, um diese hohe Hürde zu nehmen?

Wir haben in der ersten Phase vor allem auf eine breite und dezentrale Organisierung gesetzt. So zum einen auf bestehende Stadtteilinitiativen und zum anderen auf die Gründung von Kiezgruppen. Diesen Prozess wollen wir zur nächsten Phase weiter vorantreiben. Das ist nicht nur wichtig für die Unterschriftensammlung, sondern auch damit es genug Menschen gibt, die nach dem hoffentlich gewonnenen Volksentscheid weiter Druck machen können. Das ist wichtig, damit das Gesetz auch wirklich umgesetzt wird und genügend Menschen in die von uns vorgesehenen Mitbestimmungsstrukturen gehen. Wir überlegen daher gerade eine Mitmach- oder Aktivist*innenkonferenz auszurichten, um diese Schritte weiter zu planen.

Wir wollen aber auch eine breitere Begleitkampagne, denn wie wir immer wieder betonen. Der Mietenvolksentscheid ist nur ein erster Schritt, der einige wichtige grundlegende Veränderungen durchsetzen will. Doch weitere müssen folgen. 

Vielen Initiativen sind bereits an den Verfahrenshürden für Volksbegehren und Volksentscheide gescheitert. Welche Hürden haltet ihr für angemessen? Wo seht ihr Verbesserungsbedarf bei der Ausgestaltung der direkten Demokratie in Berlin?

Es ist schwierig darauf eine schnelle Antwort zu geben. Daher will ich nur ein paar Punkte nennen, über die man weiter nachdenken könnte. 

1. Müller hat bei seiner Kritik an der Volksgesetzgebung an einem Punkt Recht. Es ist für Menschen unterschiedlich schwierig, solche Initiativen zu starten. Volksentscheide schaffen für Menschen Gehör, die sonst kaum Gehör finden, hier liegt die Differenz zu Müller. Trotzdem haben es die Menschen schwieriger, die zum Beispiel kaum noch Zeit haben, neben ihrer Lohnarbeit, sich die notwendige Expertise anzulesen oder an den notwendigen Strukturen für so einen Volksentscheid zu arbeiten. Die Forderung nach mehr Demokratie enthält also immer auch die soziale Frage. Daher sollte sich überlegt werden, ob zum Beispiel nach einer ersten Phase, in der erst einmal für allgemeine Forderungen geworben wird, bei genügend Unterschriften die Initiative, wie Parteien auch, Geld bekommt für die nötige Fachexpertise, um Gesetze auszuarbeiten und um sich die politische Arbeit leisten zu können.

2. Darf die Wahlberechtigung nicht mehr an der Staatsbürgerschaft hängen. Wer lange genug in Berlin wohnt und daher von der Politik betroffen ist, muss mitentscheiden dürfen. 

3. Man sollte außerdem an verschiedenen Punkten des „Drei Stufen Modells“ nachdenken. Warum hat man zum Beispiel länger Zeit, um 20.000 Unterschriften zu sammeln als 175.000. Nämlich nur vier Monate im Vergleich zu sechs Monaten. Da sollte es also mehr Zeit geben oder das Quorum gesenkt werden. Man kann sich auch Gedanken darüber machen, warum die ersten 20.000 Unterschriften eigentlich nicht in die 175.000 hineinzählen oder sich gleich darüber Gedanken machen, ob es wirklich zwei Stufen braucht, bevor es zur Abstimmung kommt.

4. Auf den letzten Metern scheitern ja einige Volksbegehren, weil sie zwar eine deutliche Mehrheit bekommen, aber diese nicht 25% der Berliner Bevölkerung entspricht. In Hamburg liegt dieses Quorum nur bei 20%. Für die Bestimmung des Senats oder die Abgeordnetenhauswahl gibt es hingegen gar kein Quorum. Die Regierungsparteien wurden beispielweise bei der letzten Wahl von 31% der abstimmungsberechtigten Berliner Bevölkerung gewählt, bei einer möglichen Koalition von SPD und Grünen wären das nur ca. 27% gewesen. Wenn also selbst bei Abgeordnetenhauswahlen manche Regierung nur knapp das geforderte Quorum für Volksentscheide erreicht, ist es fraglich, ob es das angemessene Quorum für Volksentscheide ist. Bei einem Volksentscheid wird immerhin nur über ein Gesetz, nicht aber indirekt über die Regierung der nächsten Jahre abgestimmt.