Am 22. Dezember reagierte Wolfgang Thierse auf eine Frage zu unserem Wahlrechts-Volksbegehren auf abgeordnetenwatch.de. Die Antwort erschien jedoch nicht bei abgeordnetenwatch.de, sondern er schickte sie dem Fragesteller direkt.
Sehr geehrter ... ,
vielen Dank für Ihre Mail vom 3.12.2008, in der Sie mich bitten, zum Volksbegehren für eine Wahlrechtsreform Stellung zu nehmen. Ohne auf jeden einzelnen Aspekt des Volksbegehrens eingehen zu können, möchte ich versuchen, Ihnen meine Haltung zu erläutern. Ich hege grundsätzlich Sympathie für eine bessere und stärkere Beteiligung der Bevölkerung an politischen Entscheidungsprozessen.
Die Berliner Landesverfassung bietet mit der Möglichkeit des Volksbegehrens und – entscheides hier schon sehr weitgehende Möglichkeiten. Daher finde ich es auch richtig und wichtig, dass über dieses Instrument so grundsätzliche Fragen wie Religionsunterricht an Schulen oder die Reform des Wahlrechts in breiter Öffentlichkeit diskutiert werden.
Gleichwohl können mich nicht alle Vorschläge der Initiatoren des Volksbegehrens für eine Wahlrechtsreform überzeugen. So bin ich der Überzeugung, dass die hierzulande praktizierte Mischform von Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht sich sehr bewährt hat. Daher finde ich die aus Hamburg entlehnte Idee, mehrere Wahlkreisabgeordnete direkt zu wählen, ebenso wie die, eine Ersatzstimme vergeben zu können, wenig überzeugend. Aus meiner Sicht sprechen dahingegen einige Argumente für die Möglichkeit, durch den Wähler die Reihenfolge der Kandidaten auf den Parteilisten (die dann aber auch immer Landeslisten sein sollten) verändern zu können, um so eine stärkere Gewichtung der Wählerstimme zu erreichen.
An diesen Beispielen möchte ich Ihnen aufzeigen, dass meine Skepsis in Bezug auf das Volksbegehren eher überwiegt. Dennoch halte ich es für richtig, dass hier eine Diskussion begonnen wurde, die es befördern kann, dass realistische und verfassungsgemäße Änderungen dann auch umgesetzt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Wofgang Thierse